Ally antwortete für mich. Ihre Stimme war leise, aber Alexis und ich verstanden, was sie sagte. Sie hatte nicht gewollt, dass ich antworte. Alexis kam noch näher zu mir und drückte sich an mich. Ich schloss meine Arme um meine kleine Schwester.
Allys Vater kam, der uns sein Beileid aussprach und sagte, dass er für Alexis da sein würde. Das erleichterte mich etwas. Sie würde nicht allein sein mit ihrer Trauer. Sie hatte hier eine Familie, die sie auffing. Alexis war hier gut aufgehoben.
Sie schluchzte an meiner Brust und ich strich ihr geistesabwesend über den Rücken.
Ich konnte nicht sagen, wie lange wir so dastanden. Ich starrte einfach vor mich hin ins Leere. Irgendwann löste sich Alexis von mir und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. "Wir müssen dich verarzten lassen", sagte sie leise und strich mir sanft über die Wange.
Ich widersprach nicht und ließ mich von ihr in eines der Zelte führen.
Eine Krankenschwester kam zu mir und säuberte die Wunde. Ihren Kommentaren nach zu urteilen sah es nicht sehr gut aus. Ihre Bewegungen waren zügig und akkurat. Nachdem die Wunde versorgt worden war, untersuchte mich ein junger Arzt.
"Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades. Er muss 24 Stunden unter Beobachtung bleiben", sagte er zu der Schwester, die nickte und mich aus dem Behandlungsraum führte. Auf den Weg zu einer kleinen Krankenstation mit provisorischen Krankenbetten gingen wir an einigen Behandlungsräumen vorbei. An einem hielt ich an.
Ally saß dort auf einer Liege und trug nur ein Krankenhemdchen. Ich schob den Vorhang an die Seite, ehe mich die Krankenschwester davon abhalten konnte. "Ally", flüsterte ich leise. "Was ist los?", ich blickte zum Arzt und dann wieder zu Ally, die ziemlich ängstlich aussah.
Ich war so ein verdammter Vollidiot. Ich hatte mich nicht einmal nach ihr erkundet.

"Nichts schlimmes.", sagte ich zu Jayce, welcher mich besorgt ansah. Es schien so, als ob er ebenfalls irgendwohin musste. Eine Krankenschwester stand neben ihm und sah ihn ungeduldig an. "Was ist bei dir?", fragte ich ihn und sah ihn genau an. Er hatte die Verletzung am Kopf gehabt und wahrscheinlich hatte er irgendwas.
Jonathan ging zu der Krankenschwester und sah sie eindringlich ein. "Brauchen sie irgendwas Doktor?", sie sah ihn fragend an. "Ja, ich brauch Blut für den Notfall. Sie hat die Blutgruppe 0 positiv.", meinte Jonathan und sah sie eindringlich an. "Ist es ernst?", fragte sie und ich sah ihn leicht nicken. "Blutgefäßverletzung, ich hab Angst, dass etwas schief geht.", meinte er und schloss dann die Tür. Jetzt hatte ich besondere Angst, was würde passieren, wenn etwas schief gehen würde? Ich wollte die Risiken gar nicht wissen, doch ich hatte Angst um Jayce. Er sollte nicht noch jemanden verlieren, das hatte er nicht verdient.
Jonathan wies mich an, dass ich mich hinlegen sollte. Er hatte keine andere Wahl als hier zu operieren, obwohl ihm das gar nicht Recht war. Ich würde eine Vollnarkose bekommen und das könnte hier nur noch kritischer verlaufen. "Bereit?", fragte er mich. Inzwischen waren weitere Ärzte da und einige Krankenschwestern, viele Geräte wurden hergebracht und grelles Licht schien auf mich hinab. Ich nickte schwach und betrachtete ihn.
Mir wurde in die Vene gespritzt, ich wusste gar nicht was es genau war. Ich wusste nur, dass ich bald schrecklich müde wurde...

Irgendwann wachte ich wieder auf, ich wusste nicht wo ich war und wie viel Uhr es war. ich wusste gar nichts. Ich hörte nur leise Stimmen. "Sie wurde wiederbelebt, es wäre beinahe schief gegangen. Sie hatte einen grässlichen Blutverlust, doch sie wird sich davon wieder erholen. Wir konnten sie grade noch so retten, sie wäre sonst verstorben.", es war die Stimme von Jonathan. Doch wer war noch im Raum? Ich wusste es nicht und war zu müde um die Augen richtig aufzumachen. Außerdem war ich schrecklich hungrig. "Sie ist wach...schauen sie zu ihrem EKG Messgerät. Da sehen sie es.", meinte Jonathan und ich hörte Schritte, welche immer näher kamen. Ich glaubte, dass nur noch eine weitere Person im Raum war.

Ich wusste nicht, ob ich Ally glauben sollte, dass es nichts schlimmes war. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Mein Magen zog sich zusammen. Mir wurde schlecht. "Gehirnerschütterung", antwortete ich leise auf ihre Frage.
Mein Blick und meine Aufmerksamkeit wanderten zu dem Arzt, der Ally zu behandeln schien. Meine Augen weiteten sich, als ich hörte, was er zu der Schwester sagte, doch ehe ich in den Raum zu Ally gehen konnte, wurde die Tür vor meiner Nase geschlossen und die Krankenschwester, die mich versorgt hatte, fasste mich am Arm.
"Nein, nein, ich kann nicht weg, ich muss bei ihr bleiben", flüsterte ich und merkte, wie es mir hochkam. Ich konnte es nicht zurück halten und übergab mich in eine der Ecken.
"Du musst dich hinlegen und ausruhen", sagte die Schwester und blickte mich besorgt an. Mir wurde schwindelig und ich spürte, wie ich von beiden Seiten gestützt wurde und zu einem Bett gebracht wurde.
Als ich darin lag, erkannte ich Allys Vater und Four. Allys Vater ging und Four blieb bei mir.
"Es tut mir leid, was passiert ist", sagte er und blickte mich an.
Ich schüttelte leicht den Kopf und blickte mich um. Ich erkannte Alesandro, der mit eingegipsten Arm und Bein im Bett lag und schlief. Dann entdeckte ich Ian und Chris gemeinsam in einer Ecke. Chris schien Ian einiges zu erklären. In der Ecke des Zeltes erblickte ich Zeke und Nici, die an einem Bett saßen. Es musste Uriahs Bett sein. Ich blickte zu Four.
"Wie geht es ihm?", fragte ich leise. Four folgte meinem Blick und schüttelte langsam den Kopf. "Nicht gut... er liegt im Koma, die Explosion hat ihn ziemlich erwischt", antwortete er.

Vorsichtig öffnete ich die Augen und sah das Gesicht meines Vaters. Er sah mich besorgt an und strich mir übers Haar. "Wie geht es dir?", fragte er mich leise. "Ich bin schrecklich müde.", antwortete ich, meine Stimme war kratzig. Jonathan, welcher noch immer an meinem Bett stand, reichte mir ein Glas Wasser und ich nahm es ihm ab. Mit einem Zug trank ich es leer und reichte es ihm wieder. Ich war schrecklich durstig gewesen.
"Schlaf noch etwas, du hast viel Blut verloren.", sagte Jonathan und verließ, zusammen mit meinem Vater, den Raum. Schnell schlief ich wieder ein, ich war erschöpft und meine Augen aufzuhalten, erschien mir nicht sinnvoll. Das einzige was ich vor meinem Schlaf getan hatte war, die Uhr anzuschauen. Es war früh morgens gewesen, das hieß, es waren sicherlich um die 16 Stunden vergangen.

Als ich wieder aufwachte, sah ich zum Fenster. Es war stockfinster draußen, wahrscheinlich war es mitten in der Nacht. Ich sah durch mein Zimmer, doch ich erkannte gar nichts und klammerte mich an meiner Bettdecke fest. Mein Magen knurrte, ich hatte seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen. Und das was ich zuletzt gegessen hatte, war mir nicht lange im Magen geblieben. "Hallo?", fragte ich leise und hoffte, dass jemand in meinem Zimmer war. Oder mich jemand hören würde, ich brauchte erstens etwas essbares und zweitens jemanden zum reden. Ich wollte wissen, was innerhalb des letzten Tages passiert war. Wie ging es Jayce? Und was war mit Ian, Alessandro und Uriah?

Es verging einige Zeit, in der Four immer wieder versuchte Nici zum schlafen zu bewegen, uns ein paar Mal Essen und Trinken gebracht wurde und ich unglaublich um Ally bangte.
Ich konnte nicht schlafen. Vielleicht konnte ich und wollte es nicht. Ich wusste es selbst nicht. Ich redete immer wieder mit Four. Man merkte, dass uns allen die Situation ziemlich nahe ging. Wir hatten alle mit angesehen, wie Leute starben oder ihre Erinnerungen ausgelöscht wurden. Viele wurden verletzt, in vielen Fällen sogar wir selbst. Four hatte jemanden getötet, natürlich hatte er allen Grund dazu, doch es war dennoch keine einfache Situation.
Und nun bangten wir. Ich konnte irgendwann nicht mehr liegen. Man hatte mir gesagt, dass Ally die Op überstanden hatte, sie jedoch viel Blut verloren hatte und nun schlief. Ich bestand darauf, dass ich zu ihr konnte. Nach langem hin und her willigte der junge Arzt - Jonathan, wie ich später erfuhr- ein, dass ich bei ihr bleiben konnte.
Sie schlossen mich an Geräte an um auch mich zu überprüfen. "Ein Schädel-Hirn-Trauma ist nicht zum saßen", sagte er, als ich sagte, für wie unnötig ich es hielt. Dennoch ließ ich sie machen, solange ich bei Ally sein konnte war es ja ok.
Ich saß an ihrem Bett, hielt ihre Hand, nickte jedoch immer wieder ein.
Irgendwann wachte ich auf, als ich merkte, dass Ally sich aufsetzte. Ich öffnete langsam die Augen, da es jedoch dunkel war, erkannte ich nichts. Vorsichtig ertastete ich ihre Hand. "Hey, ich bin hier", flüsterte ich.

Ich setzte mich auf und spürte nur leichte Schmerzen, höchstwahrscheinlich hatten sie mich zugepumpt mit Schmerzmittel. Sie hatten sicherlich meinen Bauch aufgeschnitten und es wäre nur praktisch, mir die Schmerzen zumindest für jetzt zu nehmen.
Jayce antwortete mir und mir fiel ein Stein vom Herzen. Er war hier. Wie viele Tage waren wir eigentlich so getrennt voneinander gewesen? Ich wusste es nicht genau, doch es war schrecklich und meine Sorgen in den letzten Tagen nur zu groß. Vorsichtig verschränkte ich meiner Finger mit seinen und schaltete die Lampe, welche auf dem kleinen Tisch neben mir stand, an. "Was machst du denn hier?", fragte ich ihn leise und gähnte. Diese Vollnarkose und der Blutverlust machten mich schrecklich schläfrig, ich würde am liebsten einfach wieder einschlafen. Doch dann wäre ich wieder für viele Stunden weg und ich musste zumindest kurz mit Jayce reden. "Du siehst müde aus, Jayce.", stellte ich fest, er hatte dunkle Augenringe und sah komplett fertig aus. Er hatte sicher wenig geschlafen, was seinen Zustand durch sein Schädel-Hirn-Trauma nicht verbesserte. Die Krankenschwestern hatten sicher gesagt, dass er sich ausruhen und auch schlafen sollte. Doch ich glaubte zumindest, hier einen kleinen Dickkopf sitzen zu haben. Denn wenn er auf sie gehört hätte, dann würde er jetzt seelenruhig schlafen.

Ihre Finger verschränkten sich mit meinen und dann schaltete Ally das Licht an. Ich blinzelte den hellen Strahlen der Lampe entgegen und blickte Ally an. Sie war blass, aber sah ansonsten gut aus.
"Ich wollte bei dir sein, wenn du wieder aufwachst, für den Fall, dass du etwas brauchst", sagte ich und lächelte sie leicht an.
Ich war ziemlich müde, mein Kopf dröhnte, doch ich verspürte zumindest etwas Erleichterung, jetzt, da Ally wach war. "Wie geht es dir?", fragte ich leise und schaute sie eindringlich an.
Als sie sagte, dass ich müde aussehe, musste ich lächeln. Das war wohl nicht zu übersehen, aber es war mir egal. Immerhin war ich ja auch selbst Schuld. Hätte ich mich nur einmal richtig hingelegt, dann hätte ich geschlafen und das mit Sicherheit ziemlich lange. Aber das wollte ich nicht.
Wenn ich meine Augen schloss, sah ich so vieles, was ich nicht sehen wollte.
Ich wusste ja, dass man den Tag in seinen Träumen verarbeitete, aber das wollte ich nicht. Ich wollte nicht wieder sehen, wie Spencer starb, ich wollte nicht mehr sehen, wie Ian seine Erinnerungen gelöscht wurden, wie meine Freunde verletzt wurden und es ihnen schlecht ging. Ich wollte nicht wieder und wieder erleben, wie ich meiner kleinen Schwester sagte, dass unser Bruder tot war. Also war ich wach geblieben.
"Schon okay, es gab wichtigeres", antwortete ich und beugte mich zu Ally herüber, dann küsste ich sie sanft.

"Ach Jayce, mir wäre es lieber gewesen, wenn du geschlafen hättest.", murmelte ich leise und erwiderte den sanften Kuss. "Du weißt ganz genau, dass es notwenig ist. Bitte, sonst wirst du mir nie gesund.", meinte ich besorgt und strich mit meiner freien Hand über seine Wange.
Ich konnte verstehen, wieso er nicht schlafen wollte. Doch er würde es irgendwann tun müssen und dem war er sich sicherlich bewusst. Er dachte sicherlich oft an seinen Bruder zurück, schließlich gab sich Jayce die Schuld für alles. Doch er würde die ganzen Ereignisse nicht einfach so vergessen können, er würde irgendwann anfangen, damit zu leben. "Willst du dich wenigstens zu mir legen?", fragte ich ihn leise und sah auf unsere verschränkten Hände. Was für schreckliche Sorgen ich vor einigen Tagen hatte, als Jayce nicht nachhause kam. Ich wäre beinahe an der Sorge gestorben, außerdem war die Angst zu groß, dass er schon tot sein könnte oder seine Erinnerungen verloren hätte. Jayce war zwar verletzt, doch er lebte und er würde wieder gesund werden. Und solange das sicher war, konnte ich beruhigt weiterleben. Ohne Jayce, wüsste ich nicht, was ich getan hätte. Vielleicht hätte ich das Vergessensserum selbst genommen, doch der Gedanke, jegliche Erinnerung an Jayce und meine Familie zu vergessen, klang einfach zu fürchterlich.

"Mir gehts gut, solange es dir gut geht", antwortete ich leise und strich ihr sanft über ihre Wange.
Natürlich wusste ich, dass ich nicht ewig so weitermachen konnte. Ich musste irgendwann schlafen und das schon ziemlich bald, aber nicht sofort.
"Ja, gerne, aber vorher solltest du was essen", sagte ich leise und löste meine Hand von ihrer. Ich ging zu dem kleinen Tischchen und nahm die Flasche Wasser und das weiche Brot, welches sie mir für Ally dagelassen hatten und brachte es zu ihrem Bett.
Ich reichte Ally das Brot und blickte sie bittend an. Sie musste hunger haben und zwar ziemlich großen, immerhin hatte sie schon lange nichts mehr gegessen.
Ich wartete, bis Ally aufgegessen hatte und reichte ihr dann die Flasche Wasser. Als sie auch die geleert hatte, stellte ich sie weg und hob die Bettdecke, um zu ihr hinunter zu schlüpfen.
Ich drückte mich an sie. Endlich konnte ich wieder ihre Nähe spüren, sie riechen. Es tat so gut.

Ich seufzte und nickte. Er hatte recht mit dem Essen, schließlich habe ich nur deswegen in die Dunkelheit meines Zimmers gesprochen. Ich hatte schrecklichen Hunger und als er mir das weiche Brot in die Hand drückte, aß ich gierig.
Dann trank ich die komplette Wasserflasche aus und spürte, wie es mir langsam etwas besser ging. Mein Magen würde am liebsten noch viel mehr zu sich nehmen, doch fürs erste genügte es ihm. Mein Magen rumorte nicht und das Essen gab mir wenigstens etwas Kraft.
Vorsichtig rückte ich etwas zur Seite und machte Jayce Platz, damit er sich hinlegen konnte. Als er sich unter meine Bettdecke gelegt hatte, drückte er mich fest an sich. Ich drehte mich leicht in seinen Armen, damit ich nicht mit dem Bauch an ihn gedrückt wurde. "Jayce? Darf ich dich was fragen...?",fing ich leise an und kuschelte mich an ihn. "Wieso warst du damals im Park?", fragte ich ihn. Die Sekretärin hatte es mir damals mitgeteilt, als ich nach ihm gesucht hatte und die Frage brannte mir jetzt auf der Zunge. Was wollte er mitten im Winter im Park? Es musste wichtig für ihn gewesen sein, er würde niemals seine Arbeit in der Mittagspause verlassen. Er hatte sie schließlich geliebt, er fand es aufregend und schrecklich interessant. Wäre ich nicht gewesen, wäre er dort wohl rund um die Uhr gewesen...er wäre noch nicht mal Abends in seine Wohnung gekommen.

Wir kuschelten uns aneinander und ich vergrub mein Gesicht in ihren wunderschönen Haaren.
"Natürlich darfst du", sagte ich und wartete Allys Frage an. Als sie sie gestellt hatte, musste ich ein wenig nachdenken. Im Park? Was hatte ich im Park getan?
Die Erinnerungen an den Vormittags vor meiner Entführung waren verschwommen, doch dann fiel es mir wieder ein. "Ich... ich habe Blumen geholt. Wunderschöne Rosen. Ich wollte dich damit am Abend überraschen, dir etwas kochen", antwortete ich leise und küsste sanft ihren Nacken.
Ich hatte schon sooft überlegt sie mit Blumen zu überraschen, ich wollte ihr immer eine Freude bereiten und das schien mir die Gelegenheit gewesen zu sein. Doch dann war ich einfach nur dumm und unachtsam gewesen. Die Blumen mussten nun gefroren oder zertrampelt sein. Vielleicht hatte auch irgendjemand sie gesehen und sie an sich genommen. Das konnte ich nur hoffen. Sie waren so schön gewesen.

Während er antwortete, schaltete ich das Licht aus. Es war unangenehm für die Augen und jetzt, wo wir so eng beieinander lagen, brauchte ich auch kein Licht.
Meine Wangen färbten sich rosa und wurden warm. Der Gedanke, dass er so etwas süßes vorhatte, machte mir zu schaffen. Auf der einen Seite fand ich es so süß, nie hätte ich gedacht, dass mir jemals jemand so eine Überraschung machen würde. Auf der anderen Seite fühlte ich mich schuldig, denn wenn er an diesem tag die Rosen nicht gekauft hätte, dann wären wir jetzt alle gesund und munter. Wir würden alle in unseren Wohnungen sein und niemand wäre von den Polizisten tot. Sogar der Bruder von Jayce würde noch leben.
Doch ich durfte mir jetzt keine Schuldgefühle machen, das würde jetzt alles zerstören, außerdem musste Jayce schlafen. Er sollte auf andere Gedanken kommen und falls er von den Erlebnissen Albträume haben würde, wäre ich hier. Ich wäre für ihn da.
Sanft schloss ich die Augen und stellte mir vor, wir glücklich Jayce und ich vor noch einer Woche waren. Wir konnten zum ersten Mal wirklich in der Öffentlichkeit zeigen, dass wir uns liebten. "Bitte verschwinde nie wieder, es war so schrecklich...Ich hab dich so vermisst.", murmelte ich leise, eigentlich wollte ich es nicht aussprechen, doch als es draußen war war es eigentlich sogar okay.

Ally schaltete das Licht aus. Die Augen entspannten sich.
"Werde ich nicht, nie wieder. Ich liebe dich", antwortete ich Ally leise, doch ich wusste, dass sie mich hörte. Dann lagen wir einfach da. Ich merkte, wie mich die Müdigkeit langsam einholte.
Ich hatte die letzten Nächte so gut wie gar nicht geschlafen. Und wenn ich doch eingenickt war, so wurde ich in meinen Träumen von den schlimmsten Szenen eingeholt. Vielleicht würde es jetzt besser, wenn Ally bei mir war. Ich hoffte es. Und so war es.

Ich wachte am nächsten Morgen durch die Krankenschwester auf, die um das Bett herumhuschte.
Langsam öffnete ich meine Augen. In das Zimmer schien Tageslicht, wenn auch nicht viel, denn immerhin war es Winter. Die Krankenschwester begutachtete meine und Allys Monitore und notierte sich etwas. Dann wandte sie sich um und merkte, dass ich wach war.
"Guten Morgen", sagte sie und lächelte mich an. Sie schien zufrieden, dass ich letztendlich doch geschlafen hatte. "Morgen", antwortete ich leise und sie verließ den Raum.

"Ich liebe dich auch.",murmelte ich und wartete, bis Jayce eingeschlafen war. Er fing an gleichmäßig zu atmen und wurde erstaunlich ruhig. Man merkte ihm an, dass er den Schlaf dringend gebrauchen würde.
Als ich mir sicher war, dass Jayce tief und fest schlief, schlief ich ebenfalls ein.

Am nächsten Morgen wurde ich durch die Stimme von Jayce und die einer Krankenschwester geweckt. Ich hörte wie sie den Raum verließ, nachdem sie und Jayce sich begrüßt hatten.
Meine Augen waren noch immer zu und ich kuschelte mich an den warmen Jayce. Erst nach einigen Minuten öffnete ich die Augen und sah zu Jayce. Er sah entspannt aus, nicht mehr so müde wie gestern. "Guten Morgen.", sagte ich verschlafen und genoss die Nähe zu Jayce. Meine Müdigkeit war verflogen und langsam auch das Schmerzmittel. Doch Jayce sorgte allein durch seine Anwesenheit dafür, dass es mir gut ging. Einfach nur mit ihm dazuliegen, war so angenehm und das hatte mir schrecklich gefehlt. Natürlich waren die jetzigen Umstände nicht die tollsten, doch langsam würde es wieder besser werden. Das merkte ich schon jetzt. "Wie hast du geschlafen?", mit meiner Hand fuhr ich langsam über seinen Oberkörper, doch mein Blick blieb weiter an seinen Augen hängen. Ich konnte nicht anders, als ihn anzulächeln.

Ich merkte, wie Ally sich wieder an mich kuschelte, doch erst einige Augenblicke später öffnete sie die Augen und grüßte mich. "Guten Morgen", antwortete ich mit rauer Stimme und strich ihr sanft über die Wange.
Ich genoss jede Berührung von ihr. Ihre Nähe tat mir gut, sie tat mir gut. Sie ließ mich schlafen, ich konnte in ihrer Anwesenheit die Ruhe finden, die ich brauchte. Ich vertraute ihr mehr als jedem anderen Menschen. Die Wärme, die sich in mir ausbreitete, wenn ich sie ansah, sie berührte oder nur ihren Duft roch, war unbeschreiblich.
"Gut... denke ich", antwortete ich auf ihre Frage. Ich wusste nicht, ob ich Nachts aufgewacht bin. Ich konnte mich an keinen Traum erinnern. "Und du?", fragte ich und blickte in ihre klaren Augen.
Ich wollte den Moment genießen, die Zweisamkeit mit meiner großen Liebe, denn all zu schnell würde diese vergehen und das Geschehen würde uns wieder einholen.

"Wenn du in meiner Nähe bist, schlafe ich immer gut.", meinte ich leise und beugte mich zu Jayce. Ich legte meine Lippen auf seine und küsste ihn sanft. Es war kein kurzer Kuss, sondern ich zog ihn so lang es ging in die Länge. Es war für mich noch immer so aufregend ihn zu küssen, wie beim ersten Mal. Ich würde mich nie daran gewöhnen, ihn in meiner Nähe zu haben. Er war für mich der wichtigste Mensch auf der Welt und meine große Liebe.
Es klopfte an der Tür und ich löste mich etwas von Jayce, ich rückte jedoch kein Stück von ihm ab. Mein Blick wanderte zur Tür, welche sich langsam öffnete. Meine Mutter kam hinein, sie schob einen Wagen hinein. "Guten Morgen meine Lieben, wie geht es euch beiden?", fragte sie glücklich und schloss die Tür hinter sich. "Ich hab euch beiden etwas zum Essen mitgebracht und frische Klamotten.", sagte sie und betrachtete uns beide. Ich wusste genau was sie dachte, man konnte es an ihrem glücklichen Blick ablesen. Sie war froh, dass Jayce und ich zusammen waren. Wir waren füreinander da und wir machten uns gegenseitig glücklich.
Sie stellte uns ein Tablett mit verschiedenen Sachen hin und legte uns Klamotten hin. Es waren typische Amite-Klamotten, doch diese machten mir gar nichts aus. Ich wollte unbedingt etwas anderes als nur dieses Krankenhemd anhaben. "Dankeschön Mom."

"Das freut mich zu hören", antwortete ich an ihren wundervoll weichen Lippen. Ich genieße den Kuss und ich genieße es an nichts außer an uns beide zu denken. Ally war mein ein und alles. Sie konnte mich alles vergessen lassen und ich war ihr einfach dankbar, dass sie da war. Ich war noch immer der Überzeugung, dass ich jemand so besonderes einfach nicht verdiente, aber Ally war bei mir, sie war an meiner Seite.
Unser Kuss wurde unterbrochen, weil es an der Tür klopfte. Unsere Lippen lösten sich voneinander, doch wir bleiben weiterhin eng aneinander liegen. Die Tür öffnete sich und Allys Mutter kam herein.
"Guten Morgen", antwortete ich der Mutter meiner großen Liebe. Sie strahlte uns an, wie es nur Amite tun konnten. "Soweit gut... denke ich", sagte ich und blickte Ally an.
Ich nickte Allys Mom dankend zu, als sie Frühstück und frische Klamotten hinstellte.
"Wie geht es den anderen? Alessandro, Ian und Uriah?", fragte ich und blickte sie eindringlich an. Ich war mir sicher, dass sie den neusten Stand wusste.

"Ian kann sich zwar an nichts erinnern, aber er kommt damit zurecht. Chris hilft ihm bei allem und erzählt ihm wirklich alles über ihn. Er hat keine großartigen Probleme.", erklärte sie und setzte sich auf einen Stuhl. "Alessandro geht es soweit auch gut, er hat ziemliche Schmerzen, aber weigert sich das Schmerzmittel zu nehmen.", sie seufzte leise und fuhr sich durch ihr blondes Haar. "Und Uriah...sein Zustand hat sich verbessert, er ist zwar noch nicht aufgewacht. Aber die Ärzte erwarten, dass er im Laufe des Tages das tun wird." Sie wusste über alles bescheid, schließlich half sie aktiv mit alle zu verarzten. Außerdem war sie sicherlich häufig bei Alessandro und bekam somit alles mit.
"Ally, für dich stehen noch einige Vitamine drauf. Bitte nimm sie alle ein, damit zu schnell gesund wirst.", meinte Mutter stand auf und lächelte uns zu. "Ruht euch noch ein bisschen aus solange ihr könnt.", meinte sie und verließ dann das Zimmer. Ich war froh, dass meine Eltern hier in der Nähe waren. Sie kümmerten sich und machten wenigstens die ganze Situation etwas glücklicher.
Vorsichtig setzte ich mich auf und verzerrte vor Schmerzen leicht das Gesicht. "Hast du zufälligerweise einen Plan, was die eigentlich an mir gemacht haben bei der OP? Das tut schrecklich weh.", fragte ich Jayce und griff nach einem Stück Brot. Dann legte ich mich wieder zurück, da es mir so vorkam, als ob mein Bauch gleich aufplatzen würde. Es war ein ziemlich großes Druckgefühl. Irgendwann würde ich mir meinen Bauch wohl mal ansehen müssen, denn bisher wusste ich nicht, wie es unter dem Krankenhemd überhaupt aussah.

Ich hörte aufmerksam zu und atmete erleichtert auf, als ich hörte, wie es den anderen ging. Alessandro war ein Sturrkopf, aber ich konnte nicht nachvollziehen, dass er die Medikamente nicht nahm. Ian würde klarkommen, dennoch war es hart. Er hatte sein bisheriges Leben vollkommen vergessen. Und Uriah. Aufatmen konnten wir wohl erst, wenn er tatsächlich seine Augen öffnete, doch sie vermuteten, dass genau dies heute passieren würde. Das würde nicht nur mich, sondern besonders auch seinen Bruder und Nici erleichtern.
Ich nickte. "Danke", antwortete ich und lächelte Allys Mutter an.
Sie verließ das Zimmer und Ally setzte sich auf. Dabei verzog sie das Gesicht vor Schmerz. "Pass auf", sagte ich und blickte sie besorgt an. Auf ihre Frage hin, schüttelte ich jedoch den Kopf. "Nein, ich weiß gar nichts, sie haben mir nichts gesagt, nur, dass du während der OP viel Blut verloren hast", sagte ich und setzte mich nun auch auf.
Ich reichte ihr eine Flasche Wasser.

"Als ich zum ersten Mal aufgewacht bin, hat Jonathan etwas von einer Wiederbelebung bei mir erzählt. Ich hab erst gedacht, dass sie über wen anderes reden...doch dann wurde mir alles klar.", meinte ich und nahm die Wasserflasche. "Danke.", murmelte ich leise und nippte kurz daran. "Wie geht es eigentlich jetzt deinem Kopf? Also nach dem Schlafen?"
Ich sah mich im Raum kurz um, er war sehr steril und einfach eingerichtet. Irgendwie trostlos, was mich dazu brachte, dass ich unbedingt hier weg wollte. Wann dürfte ich gehen? Und wohin eigentlich? In dieser Stadt hatten wir gar kein Zuhause mehr, was würde mit uns allen passieren?
Vorsichtig schob ich das Krankenhaushemd etwas hoch und begutachtete meinen Bauch. Er war gut verbunden, doch der Verband wurde seit längerem nicht mehr gewechselt. Sicherlich würde gleich jemand kommen und mir diesen erneuern, schließlich war der Verband schon leicht blutig. Als ich das Hemd ein weiteres Stück hochschob, erkannte ich riesige blaue Flecken und zuckte zusammen. Schnell strich ich mein Hemd wieder nach unten, das wollte ich mir gar nicht ansehen. Es sah schrecklich aus...

"Davon wusste ich nichts. Sie wollten nicht, dass ich vor dem Zimmer warte. Erst nachdem du stabil warst, durfte ich zu dir und da warst du ja auch schon am schlafen", antwortete ich gedankenverloren. Es war wohl auch besser, dass ich das mit der Wiederbelebung nicht mitbekommen hatte. Ich wär vermutlich vollkommen durchgedreht.
"Mir ist immer noch ein bisschen schummrig, aber das geht schon, gestern war es viel schlimmer", antwortete ich achselzuckend und aß ein Stück Brot. Mein Magen schien noch nicht zu wissen, ob Essen eine gute Idee war, also nahm ich meine Wasserflasche und trank ein paar kräftige Schluck.
"Ich hoffe Uriah wacht bald auf. Sie haben sich furchtbare Sorgen um ihn gemacht, nachdem er ins Koma gefallen ist. Sah nicht gut für ihn aus. Und Nici und Zeke sind ihm nicht von der Seite gewichen", sagte ich. Ich wollte keine Stille aufkommen lassen und Ally würde ohnehin alles wissen wollen, was passiert war, nachdem sie untersucht und operiert wurde.

"Aber wenigstens hast du geschlafen, sonst wäre es noch immer schlimm...", meinte ich leise und kuschelte mich wieder in das Kopfkissen während ich ihm zuhörte. "Das hoffe ich auch...", erwiderte ich. "Außer, dass er im Koma liegt, was hat er denn noch alles? Hab ja nichts mitbekommen.", ich streckte meine Hand nach Jayce aus und fuhr ihm mit meinen Fingern ganz leicht über den Rücken. Mir tat Uriah leid und ich hoffte, dass er das alles ohne große bleibende Schäden überstehen würde. Er war ein guter Mensch, er hatte es nicht verdient.
"Und hast du schon mitbekommen, was passiert wenn wir alle gesund sind?", eigentlich war es jetzt sicher hier für uns. Wir könnten versuchen das Fraktionssystem abzuschaffen und eine neue Welt aufzubauen, wir hätten genug Hilfe von den Leuten aus anderen Städten. Doch weil hier so viel schreckliche Dinge geschehen sind, war ich mir unsicher, ob ich dies überhaupt wollte. Wollte ich an diesem Ort überhaupt noch leben nachdem ich in einer anderen Stadt die schönen Seiten des Lebens kennengelernt hatte. Eigentlich sollte ich mir keine Gedanken darüber machen, ich war nur knapp dem Tod entwischt und meine Gedanken sollten nicht um neue Probleme kreisen. Doch ich konnte es nicht so einfach abstellen, diese Gedanken würden jetzt wohl immer da sein.

"Ja, da hast du vermutlich recht", antwortete ich und trank noch einen großen Schluck Wasser.
Ich dachte nach, als Ally mich fragte, was noch mit Uriah war. Um ehrlich zu sein wusste ich nicht sehr viel, was er hatte. "Ich weiß auch nicht genau. Ich weiß nur, dass er durch die Explosion ziemlich schwer verletzt wurde und anscheinend hat das auch Auswirkungen auf seinen Kopf gehabt, sonst wäre er nicht ins Koma gefallen. Äußerlich hat er Wunden, wie wir alle, Kratzer, Schnitte. Er hat auch Verbrennungen. Soweit ich mitbekommen hab, hat er auch einen Arm gebrochen, aber das ist ja alles halb so schlimm, wenn er wieder aufwacht", sagte ich und blickte Ally an, die mir sanft über den Rücken strich.
Auf ihre nächste Frage schüttelte ich den Kopf. "Ich weiß auch nicht. Ich denke das liegt ganz bei uns, ob wir wieder nach Chicago wollen oder doch lieber wieder zurück", sagte ich und dachte selbst darüber nach.
Ich wusste selbst nicht, was ich genau wollte. Wollte ich mir hier in unserer alten Stadt, wo Ally und ich uns kennen gelernt hatten, ein neues Leben ohne Fraktionssystem aufbauen? Oder wollten wir uns lieber wieder ins gemachte Nest setzen?

"Hoffentlich wird das wieder alles mit ihm...er hat das nicht verdient.", ich sah gedankenverloren aus dem Fenster. "Ich muss später mit Ryan deswegen reden, ich hätte schon Interesse hier weiter zu leben. Aber ich möchte eine intensive Unterstützung für so etwas und außerdem...", ich brach ab und biss mir auf die Lippe. Ich verdankte dem SWAT-Team so viel und der Polizei, sie hatten mir zur Seite gestanden und mir geholfen, als ich Jayce vermisst hatte. Gerne würde ich selbst Hand anlegen und beide Sachen hier aufbauen. Ich will, dass den Leuten hier es nicht verwehrt bleibt, beschützt zu werden. Damit würden Menschenleben gerettet werden und außerdem würde es viele Ferox noch geben, welche einen passenden Beruf dann suchen würden. Sie würden sich super in so etwas integrieren...
"Aber auf der anderen Seite wäre es so leicht, einfach wieder wegzugehen. Wir hätten keine Probleme...aber was passiert dann mit den Leuten hier? Unsere Gruppe ist die einzige, die weiß wie es da draußen aussieht. Folglich ist es auch unsere Pflicht, den Leuten hier zu helfen oder?"

"Das stimmt", sagte ich und blickte an die weiße Wand gegenüber. Niemand hatte verdient, was passiert war. Vielleicht hatte nicht einmal Jeanine verdient, was ich ihr angetan hatte, aber darüber wollte ich nicht nachdenken. Ich schaute Ally an, als sie anfing zu reden.
Ich nickte. Wir waren hier in dieser Stadt aufgewachsen. Wir hatten hier viel erlebt und viel durchgemacht, uns verband so viel mit dieser Stadt und irgendwie wäre es komisch zu gehen, nun, da die Möglichkeit bestand, dass es hier so friedlich sein könnte, wie drüben.
"Ja, es wäre leicht, sehr sogar, aber mal ehrlich, wir haben uns nie den leichten Weg ausgesucht, oder?", sagte ich und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Außerdem hatte sie recht. Die Leute hier hatten es verdient. Sie kannten nur das Fraktionssystem, die große Lüge, in der wir alle gelebt hatten.
Ich würde nicht behaupten, dass es einfach werden würde, aber die Stadt und die Leute hatten es verdient.